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Beurteilen und Fördern in Schulen

Kategorie: Beurteilen und Fördern in Schulen

Beurteilen und Fördern“ ist der zentrale Zettelkasten meiner Arbeit. Aus diesem Zettelkasten heraus ist der„Lern- und Förderkreis“ entstanden. Aus diesem Modell habe ich alle anderen Modelle von „Entwicklungsdynamik“ abgeleitet.
Angeregt wurde ich durch das Projekt „SIPRI“, einem Projekt zur Überprüfung der „Situation der Primarschule in der Schweiz“, das zwischen 1978 und 1986 lief und mit Zwischenberichten öffentlich gemacht wurde. Ich war mittlerweile mehr als zehn Jahre im Beruf, hatte vieles ausprobiert, eine persönliche Vorstellung von gutem Unterricht entwickelt, war angefixt von der Freinet-Pädagogik wie überhaupt von reformpädagogischen Konzepten. Auch hatte ich erste Erfahrungen als Lehrerfortbildner und als Praxislehrer für die Lehrerausbildung machen dürfen. Da fielen die Ergebnisse der SIPRI-Studie bei mir auf fruchtbaren Boden. Vor allem der Teilbereich „Schülerbeurteilung“ war sehr aufschlussreich, zeigte er doch, dass alles, was sich zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen abspielt, geprägt ist von „Beurteilen“. Da in der damaligen Praxis kaum ein Unterschied gemacht wurde zwischen „Beurteilen“ und „Bewerten“, waren die Lernprozesse ständigen Bewertungen ausgesetzt, anstatt förderlicher Beurteilungen. Formatives Beurteilen und Fördern auf der Grundlage der Urteile wäre eine zentrale Kompetenz von Lehrpersonen (und von Schülerinnen), die mitentscheidet, wie weit ein Lernprozess positiv verlaufen kann. Aus dieser Erkenntnis entstand bei mir die Formel:

Unterrichten = Fördern auf der Grundlage von Beurteilungen“.

Die Herausforderung bestand alsbald in der Entwicklung eines Orientierungsmodells, mit dessen Hilfe sich beschreiben liesse, was Unterrichten dieser Formel folgend bedeuten kann. Angeregt auch durch den Kontakt mit dem Luzerner Projekt GBF („Ganzheitlich Beurteilen und Fördern“), entwickelte ich für mich den

„Lern- und Förderkreis“.

Das Modell ist der Versuch, die verschiedenen Beurteilungssituationen in einem Ablauf darzustellen und dabei die jeweils adäquate Beurteilungsart zuzuordnen. Er ist ausgerichtet auf thematische Lerneinheiten, die sich über einen Zeitraum von mehreren Wochen erstrecken und er fokussiert hauptsächlich auf Beurteilen und das Trennen von Bewerten.
Ich habe festgestellt, dass Lehrpersonen noch wenig sensibilisiert sind auf das Trennen von Lernen und Leisten und damit auf das Unterscheiden von Lernzeit und Leistungssituation. Das hat zur Folge, dass immer wieder Leistungsbewertungen in verschiedenen Formen während der Lernzeit veranstaltet werden, anstatt dass formative Beurteilungen und Rückmeldungen das Lernen unterstützen und fördern. Ich höre dann, dass die Stofffülle so gross sei, dass die Zeit für diese zusätzliche formative Beurteilung halt fehle. Also: Verzicht auf Förderung für alle Lernenden – eine Bankrotterklärung! Auch die Phase der Sicherung des Gelernten findet, wenn überhaupt, nur marginal statt. Die Lernenden müssen sich dann auf die Prüfung vorbereiten, am liebsten zu Hause.

Seit den 1980er-Jahren hatte ich immer wieder die Chance, mit „Beurteilen und Fördern“ als Fortbildner und Projektbegleiter in ganz unterschiedlichen Kontexten und Organisationen zu arbeiten und die Idee weiterzuentwickeln.

Auch aktuell besteht nach meiner Wahrnehmung ein deutliches Defizit im Blick auf die Auseinandersetzung mit Beurteilungs- und Bewertungsfragen, sowohl in der Politik, in den Schulen als auch in der LehrerInnenausbildung und in der Weiterbildung:

  • Einerseits wird der qualitative Unterschied zwischen Unterrichten und Fördern sowie Beurteilen und Bewerten so gut wie gar nicht wahrgenommen. Unterrichten wird selten als Fördern von Lernen verstanden, sondern tendenziell als eine vom Lehrer ausgehende Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten; formative Beurteilungen und Rückmeldungen während des Lernprozesses spielen eine untergeordnete Rolle oder werden mit Bewertungen, also Notengebung, verwechselt (auch auf der bildungspolitischen Bühne wird Beurteilen in aller Regel mit Notengebung gleichgesetzt; der Glaube an die Noten ist ungebrochen).
  • Andererseits wird der untrennbare Zusammenhang von Beurteilen und Fördern, wie es mir scheint, allzu oft ausgeblendet. Lehrpersonen tendieren dazu, Fördern und Beurteilen als Widerspruch zu sehen: hier und zuerst die Förderung, dort und anschliessend die Beurteilung im Sinne einer Bewertung z. B. durch Noten. Tatsächlich braucht es, wie vorangehend beschrieben, zuerst die Fähigkeit der Beurteilung von Lernprozessen seitens der Lehrperson, um auf deren Grundlage dann angemessen fördern zu können. Und hierbei hilft der „Lern- und Förderkreis“.